Aus der Juryentscheidung
Bauen für kranke Menschen, insbesondere wenn es sich um ältere und demenzkranke Mitbürger handelt findet gestalterisch und auch räumlich oft einen eher krankenhausartigen und schematischen Ausdruck. Dass Bauen für diese Nutzergruppe aber sehr viel mehr sein kann, beweist das Gebäude von AV 1 Architekten in Kaiserslautern:
Inmitten eines kleinen Gevierts aus Einfamilienhäusern gelegen machen sich die Architekten die zauberhafte Lage inmitten alten Baumbestandes zunutze:
Auf dem Footprint des früheren Kindergartens platziert, zollt der Neubau seinen eingeschossigen Nachbarn, wie auch den alten und mächtigen Bäumen mit seiner geringen Gebäudehöhe Respekt.
Fünf einfache Volumina spannen in Kombination mit einem kräftigen Dach eine differenziert wirkende Raumfolge auf, bei der Innenraum und der umgebende parkartige Garten ganz selbstverständlich ineinander übergehen.
Sie nehmen die dienenden Räume auf und bilden um die mittig gelegene Küche einen freundlich und großzügig wirkenden Raum, der für die Nutzer zur Heimat auf Zeit wird. Der Rundlauf überzeugt mit wechselnden Raumeindrücken, von sich öffnenden und schließenden Räumen.
Gezielt platzierte Ausblicke und Oberlichter unterstützen diese offene und lichte Atmosphäre, genau wie die gekonnt materialisierten Oberflächen und gut detaillierten Übergänge.
Das Gebäude zeigt insgesamt in vorbildlicher und auch selbstverständlicher Weise, das ein respektvoller Umgang mit einer schweren Erkrankung sich nachhaltig in Architektur und Raum manifestieren kann.
Kontext
Als ein Gebäude mit besonderer Aufgabe innerhalb des Quartiers entwickelt das Haus seine originäre Gestalt. Der eingeschossige Baukörper respektiert durch seine bescheidene Höhe das bezaubernde Umfeld und verbindet durch kalkulierte Öffnungen die Innenräume mit dem Außenraum.
Tektonik
Die spielerische Setzung der massiven Raumkörper mit verfeinerten Betonoberflächen erzeugt ein offenes, flexibel bespielbares Raumgefüge. Die geschlossenen Volumen tragen das Holztragwerk der Dachscheibe und begrenzen die Innenräume. Durch das Wechselspiel zwischen massiven und transparenten Teilen und dem Thema Stützen und Lasten entsteht eine zeitlose Archaik.
Programmatik
Über eine großzügige, zurückgesetzte Glasfuge betreten die Gäste die Tagespflege. Um den zentralen Körper mit der Küche als Nucleus des Hauses fügen sich die mit Holzoberflächen veredelten Räume mit Ausblick in den Garten. Im Kontrast stehen die introvertierten Ruheräume mit weißen Putzoberflächen, die über Dachoberlichter illuminiert werden. Eine Raumsequenz ohne Erschließungsflure entsteht. Um die Akzeptanz für die Besucher der Tagespflege zu erhöhen, sind alle Raumbegrenzungen subtil behandelt, insbesondere das Relief der Johanniskrautblüte als Heilpflanze gegen die Symptome der Demenz zeigt im Detail die Auseinandersetzung mit der Bauaufgabe. Mit seiner je Seite unterschiedlich ausgreifenden Fassadentiefe tritt der Bau mit der landschaftlichen und baulichen Umgebung in verschiedenen Maßstäben in einen Dialog und stellt unterschiedliche Terrassen zur vielschichtigen Wahrnehmung des einmaligen Kontextes zur Verfügung. Konstruktion und Materialisierung in fein geschaltem Sichtbeton und Glas zeigen eine Verwandtschaft zu ortstypischen Elementen wie Stein und Wald und lassen einen Hauch zeitloser Subtilität und Eleganz anklingen.
Die Archaik der Tektonik, die Reaktion auf den Ort und die Programmatik der Raumstruktur erzeugen auf einfache Art durch die Reduktion der gestalterischen Mittel eine identitätsstiftende Atmosphäre und Originalität.